Heilpflanze des Jahres 2022!

Anfangs war die Brennnes­sel für mich eher ein lästiges Unkraut, durch das manche Ver­stecke in mein­er Kind­heit beim Spie­len immer wieder mal zur Mut­probe oder einem No-Go wur­den. Mit­tler­weile habe ich diese außergewöhn­liche Pflanze nicht nur bess­er ken­nen, son­dern auch schätzen und lieben gelernt.

Zugegeben, beim Ver­steck­spie­len habe ich die schmerzen­den Quad­deln nicht sehr geschätzt, aber woher kom­men die eigentlich? Das Bren­nen entste­ht durch das Abbrechen der mit Kiesel­säure angere­icherten und daher glasar­ti­gen Brennhaare, die dann in die Haut ein­drin­gen und dort einen Mix aus His­t­a­mi­nen, Ameisen­säure und Acetyl­cholin freigeben. Diese Reak­tion gilt eigentlich Fress­fein­den, trifft jedoch auch arglose Spaziergänger oder eben Verstecke-Sucher.

Bren­nes­seln find­et man häu­fig an Wal­drän­dern, an Gewässern, auf Wiesen und generell an halb­schat­tig gele­ge­nen Stan­dorten vor. Sie sind ein Stick­stof­fanzeiger bzw. weisen auf einen hohen Nährstof­fge­halt des Bodens hin.

Die Ern­tezeit erstreckt sich von April/Mai bis Sep­tem­ber. Je nach­dem, wann der erste starke Frost ein­tritt, kön­nen Bren­nes­seln bis in den Novem­ber hinein geern­tet wer­den. Die Blüten sind von Juli bis Sep­tem­ber präsent, wohinge­gen die Samen ab Ende September/Anfang Okto­ber reif (braun) sind.

Gegen diese kleinen Brennhaare ist auch ein Kraut gewach­sen: ein Spitzwegerich-Blatt zer­reiben und auf die “kon­t­a­minierte” Haut­stelle reiben. Das stillt sofort das Jucken.

Inhaltsstoffe

Brennnes­seln enthal­ten enorm viele wertvolle Stoffe, die uns als Nahrungs- oder Heilmit­tel gut tun und in einem aus­ge­wo­ge­nen Ver­hält­nis in der Pflanze vorhan­den sind. Veg­e­tari­er wer­den sich freuen, dass diese Pflanze einem Ver­gle­ich mit Fleisch lock­er stand­hal­ten kann. Wie bei jed­er Pflanze hängt die Konzen­tra­tion an Inhaltsstof­fen stark vom Stan­dort, Jahreszeit und Kli­maver­hält­nis­sen ab. Die Samen enthal­ten die Nährstoffe am konzen­tri­ertesten, aber auch die Wurzel im Win­ter – wenn die Pflanze ihre Nährstoffe dor­thin zurückzieht – stellt uns die wichti­gen Bestandteile bereit:

Flavonoide, Kiesel­säure, Gerb­stoffe, His­t­a­min, Ameisen­säure, Essigsäure, Kaf­feesäuren, Mag­ne­sium, Eisen, Kali­um, Sili­ci­um, Natri­um, Chloro­phylle, Karoti­noide, Vit­a­min C/A/E/B1, Pro­teine, Hor­mone, Enzyme und Lig­nane (= sekundäre Pflanzen­stoffe, die zur Gruppe der Polyphe­nole gehören und inzwis­chen als kreb­shem­mend gel­ten) 

Ver­glichen mit Kopf­salat enthält die Brennnes­sel das 25fache an Mag­ne­sium, das 14fache an Kalz­i­um, das 50fache an Eisen und das 30fache an Vit­a­min C.  

 

 

 

Medizinische Bedeutung 

Die sekundären Pflanzen­stoffe aus Brennnes­seln haben unter­schiedliche Wirkun­gen für die Gesundheit:

Antiox­ida­tiv: Vor allem Flavonoide (Rutin und Quercetin) und phe­no­lis­che Säuren fan­gen reak­tive Stoffe (freie Radikale) ab und schützen Zellen so vor oxida­tivem Stress. Sie wirken antiox­ida­tiv und hem­men Entzün­dun­gen. Dadurch stärken sie die kör­pereigene antiox­ida­tive Abwehr. 

Harn­treibend: Sekundäre Pflanzen­stoffe, ins­beson­dere Flavonoide, haben harn­treibende und krampflösende Eigen­schaften. Zudem sind Brennnes­seln reich an dem Min­er­al­stoff Kali­um. Kali­um ist uner­lässlich für den Wasser­haushalt im Kör­p­er. 

Immun­sys­tem: In Labor- und Tierver­suchen kon­nten sekundäre Pflanzen­stoffe der Brennnes­sel das Immun­sys­tem unter­stützen. Forsch­er beschrieben sowohl immun­steigernde und als auch dämpfende Wirkun­gen auf entzün­dungs­fördernde Boten­stoffe. In der Pflanzen­heilkunde kommt die Brennnes­sel bei entzündlichen Vorgän­gen zum Ein­satz, wie Hautkrankheit­en oder Heuschnupfen.

Wund­heilung: Die antiox­ida­tive und antibak­terielle Wirkung der Flavonoide ermöglicht eine schnellere Wund­heilung. Außer­dem regte Brennnes­sel-Extrakt in Tier­stu­di­en den Wieder­auf­bau von Geweben an.

Herz-Kreis­lauf-Sys­tem: Brennnes­seln wer­den tra­di­tionell zur Verbesserung des Blut­drucks, der Blut­fette und der Gefäßge­sund­heit einge­set­zt. Außer­dem ver­hin­dert Brennnes­sel-Extrakt das Zusam­men­kleben von Blut­plättchen und wirkt dadurch ein­er Gefäßverkalkung (Ath­er­o­sklerose) ent­ge­gen. Das enthal­tene Sili­ci­um stärkt die Gefäßwände.

Hor­mon­haushalt: Phy­tos­te­role und Lig­nane der Brennnes­sel wirken auf das Hor­mon­sys­tem. Lig­nane ähneln dem weib­lichen Sex­u­al­hor­mon Östro­gen. Brennnes­sel wurde daher früher oft in den Wech­sel­jahren eingesetzt.

Anti-Krebs-Wirkung: In Labor- und Tierver­suchen nutzten Forsch­er Brennnes­sel-Extrakt bere­its erfol­gre­ich zur Vor­beu­gung und Hem­mung von Zel­lverän­derun­gen und Krebs. Der Extrakt stoppte unkon­trol­liertes Gewe­be­wach­s­tum und reg­ulierte den kon­trol­lierten Zell­tod alter oder entarteter Zellen. Ein Ein­satz in der Kreb­s­ther­a­pie ist aber noch nicht getestet. 

Für Hip­pokrates (den berühmten Arzt in der Antike) war die Brennnes­sel die wichtig­ste Pflanze zur Blutreini­gung und daran hat sich nichts geän­dert. Heute ist wis­senschaftlich erwiesen, was die alten Ärzte ver­schrieben und was in der Volksmedi­zin immer angewen­det wurde: Die Brennnes­sel ist eine der wichtig­sten Heilpflanzen zur Ver­mei­dung von Blu­tar­mut und Eisen­man­gel, ein Vital­isierungsmit­tel für Leber, Bauch­spe­ichel­drüse, Magen, Darm und Galle. Man nimmt sie zur Vor­beu­gung von Nieren­erkrankun­gen, Harn­wegsin­fek­tio­nen und Prostatavergrößerung.

Die weib­lichen Samen­stände der Brennnes­sel kön­nen ab August gesam­melt wer­den. Durch das Her­ab­hän­gen sind sie sind leicht von den männlichen zu unterscheiden.

Die männlichen Rispen tra­gen keine Samen, son­dern Fäden mit Pol­lenkapseln für die Bestäubung und ste­hen seitlich ab.

GESCHICHTLICHES

Die Brennnes­sel wird seit Urzeit­en medi­zinisch genutzt. Über­reste wur­den in neolithis­chen Pfahlbaut­en in der Schweiz, die aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. stam­men, gefun­den. Auch das Wort „Nes­sel“ ist sehr alt und geht auf das althochdeutsche „nezzi­la“ zurück, welch­es mit dem Wort „Netz“ in Zusam­men­hang ste­ht. Dieses weist auf die frühere Fasergewin­nung (bere­its vor Jahrtausenden) zur Her­stel­lung von Nes­sel­tuch hin. Um ca. 1900 galt der Nes­sel­stoff auch als „Leinen der Armen“.

Lange Zeit gehörte die Brennnes­sel auch zu den Fär­bekräutern. Wolle kann man mit ihrer Wurzel, nach Vor­beizen mit Alaun, wachs­gelb fär­ben.  

 

KULTURELLES / MAGISCHES 

Die lange Geschichte der Brennnes­sel als Heilpflanze und Nahrungsmit­tel bringt auch viele Ansicht­en im Bere­ich der Mythen und des Aber­glaubens:

- die Brennnes­sel wurde als anti­dä­monis­ches Mit­tel im Stall als Büschel aufgehängt

- in der Walpur­gis­nacht (30. April) auf den Mis­thaufen gesteckt und mit einem Stock geschla­gen, haben böse Kräfte keine Macht mehr über das Vieh

- wer am Grün­don­ner­stag eine Brennnes­sel­suppe isst, hat keine Geldnot

- am Grün­don­ner­stag gesam­melte Brennnes­seln am Dachbo­den des Haus­es aufgelegt, bewahrt das Haus vor Blitzschlag

- wenn die But­ter sich nicht aus­rühren läßt, schlage man das Fass mit Brennnesseln

- als Orakelpflanze: Man goss den Harn des Kranken über die Brennnes­sel – über­lebte die Pflanze, tat das auch der Mensch

- Hüh­n­ern mis­cht man Brennnes­sel unters Fut­ter, damit sie gut legen

An Brennnes­seln leg­en 50 ver­schiedene Schmetter­lingsarten ihre Eier ab. Die Große Brennnes­sel ist über­lebenswichtig für 6 Schmetter­lingsarten: Admi­ral, Dis­telfal­ter, C‑Falter, Klein­er Fuchs, Land­kärtchen und Tagp­faue­nau­gen — ihre Rau­pen fressen nur diese Blätter.

GÄRTNERISCHE VERWENDUNG

Für den Garten wird Brennnes­sel­jauche unverdün­nt zur Schädlings­bekämp­fung bei Läusen oder Sch­neck­en ver­wen­det. Im Ver­hält­nis 1:10 verdün­nt ist Brennnes­sel­jauche als Dünger für Rosen, Obst­bäume, Rasen und Gemüse geeignet. Im Herb­st ist verdün­nte Brennnes­sel­jauche, auf den nack­ten Boden gegossen, ein Langzeitdünger.

Brennnes­sel ist das ide­ale Fut­ter für die Boden­le­be­we­sen, wie z.B. Regen­würmer, welche die Boden­frucht­barkeit fördern und erhal­ten. Obst­bäume und Sträuch­er lieben es, wenn man unter ihnen Brennnes­seln anpflanzt. Zim­merpflanzen kön­nen ein­mal monatlich mit einem starken Brennnes­sel­tee gedüngt wer­den, der gle­ichzeit­ig Schädlinge fernhält.

 

 

TIERHEILKUNDE

Hier besitzt die Brennnes­sel eine lange Tra­di­tion. Beson­ders Pfer­den gibt der Samen im Fressen Feuer und Kraft. Wenn man Hun­den und Katzen getrock­nete Brennnes­sel­blät­ter ins Fut­ter mis­cht, wird ihr Fell glänzend und wider­stands­fähig. Kühe geben mehr Milch, wenn sie im Win­ter täglich 1 Trock­en­büschel Brennnes­sel fressen. Hüh­n­er leg­en mehr Eier, wenn sich in ihrem Fut­ter auch Samen befinden.

 

NATÜRLICHES VIAGRA

Bei den Ger­ma­nen war die Brennnes­sel Donar gewei­ht, dem Don­ner­gott und Herrsch­er über Frucht­barkeit und Potenz. An bes­timmten Fest­ta­gen aßen daher die Ger­ma­nen ein Brennnes­sel­gericht zur Steigerung der Potenz und Frucht­barkeit. Auch in der Antike (800 v. — 600 n. Chr.) galt die Brennnes­sel als Frucht­barkeitsmit­tel. Schon vor 2.000 Jahren pries der römis­che Dichter Ovid sie als „bestes Aphro­disi­akum der Welt”.  // Oblig­at sind 3x tägl. 1 TL gemahlen­er Brennnes­sel­samen mit Wass­er oder Honig gemis­cht. 

Brennnes­sel­samen regen die Blutzirku­la­tion im Beck­en und den Gen­i­tal­ien an, sie ver­lei­hen Kraft und helfen gegen Impotenz. Den Mönchen im Mit­te­lal­ter war die Brennnes­sel übri­gens verboten.

2022 wurde die Brennnes­sel zur Heilpflanze des Jahres gewählt.

Dass diese Pflanze ein echter Wun­der­wuzzi ist, wusste ich aber auch schon vor dieser Zeit, als ich mein Logo mit ihr gestal­tet habe.

Ob es ihre Samen sind – am besten angeröstet übers Joghurt gestreut – oder das Kraut als Spinat, in der Suppe, im Salat, als Kräuter­auf­strich oder in der Kräuter­but­ter, als Tee oder im grü­nen Smooth­ie … die Brennnes­sel hat ein unglaublich bre­ites Einsatzgebiet. 

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„Wenn die Menschen das Unkraut nicht nur ausreißen, sondern einfach aufessen würden, wären sie es nicht nur los, sondern würden auch noch gesund.”

→ Zitat von Johann Kün­zle, schweiz­er Kräuterp­far­rer und Publizist